Wenn du selbst etwas aus dir machst, dann wird auch etwas aus dir. Das war das Versprechen der sozialdemokratischen bzw. sozialliberalen Bildungsreform der 60er und 70er Jahre. Bildung sollte das Instrument des Ausgleichs sein. Milieu- und Klassengrenzen sprengen. Nicht mehr die Herkunft würde über den Erfolg entscheiden, sondern das eigene Talent, das nun unabhängig vom sozialen Status und der Schulbildung der Eltern gefördert würde.
Zunächst hielt sich der Erfolg in Grenzen. Die Abiturientenquote stieg zwischen 1960 und 1970 von 7% auf gerade einmal 11% eines Jahrgangs. Und es war vor allem das Kleinbürgertum, das die Chancen nutzte, die sich durch die neue Politik auftaten. In vielen Arbeiterhaushalten herrschte noch immer die Überzeugung vor, dass Abitur und Studium nichts für die eigenen Kinder wären und man den Nachwuchs nicht mit solchen hochtrabenden Tagträumereien verwirren sollte.
Durch das, was der Soziologe Ulrich Beck als „Fahrstuhleffekt“ bezeichnete, schien sich das Versprechen der Reformen aber zunächst zu erfüllen. Er gab mehr von allem und – dies ist eine historische Ausnahme – es bekamen auch praktisch alle ein Stück von diesem größer werdenden Kuchen ab. Der Zugang zu Bildung, Eigentum und Konsum wurde breiter, während sich der Abstand zwischen den Schichten allerdings kaum veränderte. Er bewegte sich nur insgesamt auf einem höheren Niveau.
Als das Wachstum nachließ, zeigte sich die Schattenseite der „Bildungsexpansion“ Zwar verfügte mittlerweile zwischen einem guten Drittel (1995) bis knapp die Hälfte (2010) eines Jahrgangs über eine Hochschulzugangsberechtigung und zuletzt etwa 30% über einen Universitätsabschluss, nur ließ der nominelle Abschluss nicht mehr automatisch in beruflichen und gesellschaftlichen Status übersetzen. Es hatte eine Inflation stattgefunden.
Für handwerkliche Berufe, deren Lehrlinge früher aus den Hauptschulen kamen, wurde nun die mittlere Reife verlangt, manchmal gar das Abitur. Ohne dieses bestand in vielen kaufmännischen Berufen und anderen Bürojobs überhaupt keine Chance auf eine Ausbildungsstelle.
Auch in den Führungspositionen gelang es bald, neue Schranken aufzustellen. Wenn nun nicht mehr über 90% eines Jahrgangs der Zugang durch das Nicht-Erreichen eines bestimmten Abschlusses versperrt war, wurden neue Hürden aufgebaut.
Etwa Praktika, die sich nur leisten kann, wer in dieser Zeit seinen Lebensunterhalt anderweitig – etwa mit der Hilfe wohlhabender Eltern – bestreiten kann und nicht nach dem Studium direkt in das Arbeitslosengeld II rutscht. Alle anderen sehen sich im Jobcenter der bizarren Situation gegenüber, dass sie zwar theoretisch monatlich für ein unbezahltes „Probearbeiten“ auf einer ungelernten Helferposition in ein anderes Unternehmen geschickt werden könnten; gleichzeitig aber kein unbezahltes sechsmonatiges Praktikum annehmen dürfen, das ihnen möglicherweise Zugang zu einer Arbeitsstelle verschafft, die ihrer Qualifikation entspricht. Während dieser Zeit stünden sie ja nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.
Noch dramatischer sieht die Situation am anderen Ende des Spektrums aus. Während oben ein Teil der Menschen, die an den Aufstieg durch Bildung geglaubt hatten, feststellen musste, dass er sie nicht so weit brachte, wie ihnen immer versprochen wurde, wurde unten eine ganze Schicht, die selbst im Fahrstuhl nie weit genug aufstieg, um einen erweiterten Zugang zu Bildung zu erhalten, komplett abgehängt.
Sie sahen sich der Situation gegenüber, dass ihre Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt waren. Die verschärften Zugangsvoraussetzungen hielten sie vom Einstieg in qualifizierte Berufe ab, die technologische Entwicklung hat den Bedarf nach schwerpunktmäßig körperlichen Tätigkeiten verringert und sie konkurrieren mit anderen Arbeitssuchenden, die aufgrund der herabgesetzten Zumutbarkeitskriterien auch Stellen weit unterhalb ihrer Qualifikation annehmen müssen.
Hier ist nicht nur selten ein Aufstieg zu verzeichnen, wenn sich doch mal ein Mentor für einen jungen Menschen findet, der versucht zu ersetzen, was das Zuhause – oft genug bei allem ehrlichen Bemühen – nicht geben kann. Hier sitzen die Verlierer der Bildungsbemühungen, die ihren Abstand zur Mehrheit der Gesellschaft nur vergrößert haben. Und so bleibt trotz aller Bemühungen zu oft das Fazit: Wer nicht aus dem richtigen Elternhaus kommt, für den fällt der Aufstieg durch Bildung all zu oft aus.
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