Corona – zum Homo Eeconomicus degradiert

„In einer Welt in der man nur noch lebt, damit man täglich roboten geht…“

Mit diesen Worten begann die ehemalige Düsseldorfer Punktband Die Toten Hosen im Jahr 1988 ihr Lied „Hier kommt Alex“. Heute, nach einem Jahr Pandemie, sind wir fast an diesem Punkt angelangt. Der Mensch wurden von der Politik zum reinen Wirtschaftsfaktor degradiert.

Die Erfolge verspielt

Zunächst sah es im Frühjahr 2020 noch so aus, als würde Deutschland glimpflich durch Covid-Krise kommen. In den ersten Wochen nach der Entdeckung des neuen Corona-Virus trug – zum ersten und bislang einzigen Mal – auch „die Wirtschaft“ ihren Teil zur Bekämpfung bei.

An dieser Stelle gleich als Einschub: Ich bin mir durchaus bewusst, dass viele Selbstständige, kleine Einzelhändler und Anbieter sogenannter „körpernaher“ Dienstleistungen wie Friseure, Tätowierer oder Kosmetik-Studios seit über einem Jahr in der Luft hängen, ebenso wie praktisch alle Kulturschaffenden. Dass die Politik es nach all dieser Zeit noch immer nicht geschafft hat, die finanziellen Hilfen in stabile Bahnen zu lenken, ist eine der großen Peinlichkeiten dieser Krise. Dazu nach vollmundigen Versprechen die Zugangsvoraussetzungen und die erstatteten Ausgaben still und heimlich wieder zurück zu drehen, wäre einen eigenen Artikel wert. Aber nicht heute…

Aber ja, im Frühjahr 2020 gab es für einen kurzen Moment so etwas wie eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, auch wenn das Ziel mit „Flatten the Curve“ schon damals zu kurz gesprungen war. Viele Unternehmen gingen in Kurzarbeit oder schickten ihre Angestellten ins Home-Office. Die Mobilität nahm spürbar ab. Die Maßnahmen wie das Tragen von Masken, Händewaschen und Desinfizieren wurden weitgehend eingehalten, vor Supermärkten sorgten nicht selten Sicherheitsdienste, dass nicht mehr Kunden im Lokal waren, als zugelassen. All das lag auch daran, dass sich die Covidiotenfront noch nicht formiert hatte (in den ersten Wochen versuchte etwa selbst die AfD noch, die Regierung für zu lasche Maßnahmen anzugreifen.)

Die relative Entschlossenheit währte nur kurz. Trotz Warnungen, dass die Zahlen noch nicht so weit gesunken waren, um eine Nachverfolgung der Infektionen sicherzustellen (und aus heutiger Sicht ist fraglich, ob unsere Gesundheitsämter dazu überhaupt je in der Lage gewesen wären), drängten die ersten Landesfürsten (vor allem der einfältige König aus dem „Land der Küchenbauer“) schon bald auf Öffnungen.

Seitdem haben wir mehrfach das gleiche Spiel abgespult. Wir versuchen mit Beschränkungen die Infektionen zurück zu drängen, tun dabei eigentlich schon zu wenig, wodurch sich der ganzen Prozess unnötig in die Länge zieht. Sobald ein Punkt in Sichtweite kommt, an dem das Problem eventuell zu managen wäre, wird sofort geöffnet und das (wenige) Erreichte schnell wieder verspielt. Dabei stehen mittlerweile, nachdem neben Laschet vor allem Unions-Ministerpräsidenten aus Ostdeutschland in dieser Richtung aufgefallen wareb, auch einige SPD- und Linken-MPs (allerdings nach wie vor mit ostdeutschem Schwerpunkt) in den Anbiederung an die Covidioten nicht mehr nach. In allen Wellen hatten die Maßnahmen eines gemeinsam…

Es wird immer der selbe Bereich beschränkt

Schon im Herbst letztes Jahres wurde in den sozialen Medien gewitzelt, man würde die Zahl der erlaubten privaten Kontakte eher auf -1 reduzieren, bevor der Wirtschaft irgendetwas abverlangt würde. (Leider finde ich den entsprechenden Originaltweet gerade nicht mehr, sonst würde ich ihn zitieren.) Das war von Anfang an der Fall. Die Vorgaben an den Großteil der Unternehmen (mit den oben erwähnten Ausnahmen) waren von Anfang an nur Empfehlungen, zaghafte Bitten.

Das hat Folgen. In der dritten Welle (und ich benutze hier bewusst nicht den Begriff „Lockdown“, denn wir hatten bis heute noch nicht einen einzigen bundesweiten Lockdown in Deutschland), hat sich der Anteil der Angestellten im Home-Office im Vergleich zum Frühjahr 2020 fast halbiert und die Mobilität liegt kaum unter den normalen Werten. Viele sitzen wieder (nicht selten ohne Masken) in ihren Großraumbüros und fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit.

Gleichzeitig werden jugendliche in Parks in wilden Verfolgungsjagden gestellt oder private Treffen aufgelöst und bestraft. Der neueste Clou ist die Idee einer nächtlichen Ausgangssperre zwischen 21:00 und 05:00 Uhr. Um Missverständnisse zu vermeiden: Über alle diese Beschränkungen könnte man auch reden, wenn ALLE Kontakte konsequent eingeschränkt würden. Es ist aber kaum mehr erklärbar, dass drei Menschen aus drei Haushalten, die den halben Tag im Büro oder der Schule teilweise keinen Meter nebeneinander gesessen haben, sich strafbar machen, wenn sie Abends auf einem Feldweg spazieren gehen.

Es wird (wie so oft auf vielen Feldern in den letzten Jahren) Handlungsfähigkeit simuliert. Irgendeine neue Einschränkung muss man verkünden, aber an die entscheidenden Kontaktorte traut man sich nicht heran.

Das Private wird der Wirtschaft geopfert

Es ist für viele vermutlich keine Offenbarung, aber in der Covid-Krise ist es so offensichtlich, wie sonst nur selten: Große Teile der Politik sehen die Menschen nicht als Wesen mir sozialen Bedürfnissen, sondern nur als Wirtschaftsbeteiligte, die produzieren und konsumieren sollen. Alles andere wird diesem einen Ziel untergeordnet.

Bei allem Gerede über die verlorene Zeit für Bildung (übrigens oft von Akteuren, die bisher nicht damit aufgefallen wären, sich für die Bildungschancen benachteiligter Kinder einzusetzen) wird immer offensichtlicher, dass Schulen und Kindergärten vor allem als Aufbewahrungsstellen gebraucht werden, damit die Eltern arbeiten (und konsumieren) können. Anders ist es kaum zu erklären, wie in den letzten Monaten immer wieder auf Öffnung gedrängt hat, dafür die Grenzwerte kontinuierlich weiter nach oben verschiebt. Aktuelle Entwürfe nennen eine Inzidenz von 200 für Schulschließungen und 100 für das restliche öffentliche Leben. (Zur Einordnung: Eine Inzidenz von 100 bedeutet, dass sich 0,1 % der Bevölkerung eines Landkreises in der letzten Woche neu mit Covid-19 infiziert hat.)

Einige erinnern sich vielleicht noch, dass im Mai 2020 ursprünglich ein Wert von 35 als Obergrenze genannt wurde, ab dem eine individuelle Nachverfolgung der Infektionen selbst unter Idealvoraussetzungen unmöglich würde. Das wurde sofort von einigen Ministerpräsidenten aus politischen Gründen auf 50 hoch-verhandelt und damit die Tendenz begonnen, Angela Merkel als strenge Gouvernante zu sehen, den Bad Cop, dem die Landesfürsten als das coole Elternteil immer neue Lockerungen abtrotzen. Noch unverständlicher ist die doppelt so hoch angesetzte Grenze für Schulen. Das Narrativ, Kinder wären weniger betroffen bzw. vielleicht sogar keine Überträger, stand zu keinem Zeitpunkt auf einem stabilen Fundament. Mittlerweile kann es ziemlich eindeutig als widerlegt betrachtet werden (zumal leichte Verläufe vor Long-Covid keinen Schutz zu bieten scheinen).

Gleichzeitig sollen private und familiäre Kontakte immer weiter eingeschränkt und heruntergefahren werden. (Mittlerweile witzelt man auf Twitter über eine Maskenpflicht in der eigenen Wohnung.) Die Ausnahme wäre natürlich, man trifft sich im Supermarkt oder den bald wieder geöffneten Baumärkten. Da könnten sich auch die Kegelbrüder und Sportskammeraden endlich wieder zusammenfinden.

Beides führt dazu, dass immer mehr Menschen erschöpft sind. Die Maßnahmen sind zu inkonsequent, um schnell zu wirken, schränken den Alltag aber trotzdem stark ein. Gleichzeitig verlängern die unsinnigen Öffnungen den Gesamtprozess und nehmen der Bevölkerung jede Perspektive, dass sich die Situation in absehbarer Zeit grundlegend bessern könnte. Wir tauschen immer wieder einige Tage shopping gegen einige Wochen Kontaktbeschränkungen und selbst nach dem dritten Durchspielen sind die Laschets und Lindners dieser Welt nicht klüger geworden.

Das Versagen „der Wirtschaft“ als lenkender Akteur

An dieser Stelle fällt auch ein weiteres mal auf, dass „die Wirtschaft“ oder „der Markt“ als lenkende Instanz vollkommen unbrauchbar sind. Spätestens mit der zweiten Welle hätte klar sein müssen, dass halbgare Einschränkungen und frühes Öffnunen das Dilemma nur verlängern und damit den wirtschaftlichen Schaden vergrößern. Wenn „die Wirtschaft“ in der Lage wäre, rational zu agieren und über den nächsten Quartalsbericht hinaus zu planen, hätte sie sich spätestens dann für eine europaweiten echten Lockdown einsetzen müssen, der es ermöglicht hätte, die Pandemie zu managen, wie es diverse asiatische Länder, Australien und Neuseeland vorgemacht haben. (Und bevor jetzt die angeblichen geografischen Besonderheiten wieder hervorgekramt werden: Europa ist eine Halbinsel. Natürlich könnten wir unsere Außengrenzen schließen bzw. die Einreise mit Quarantäne verknüpfen.)

Stattdessen lobbyierte jede Branche, um für sich Ausnahmen von den Beschränkungen heraus zu holen und kurzfristig ein paar Kröten mehr einzunehmen. Das zieht die ganze Angelegenheit damit noch weiter in die Länge. Dabei werden sie von Politikern von Union und FDP unterstützt. (Die gleiche Dynamik erleben wir übrigens auch beim Thema Klima.)

Das wird uns teuer zu stehen kommen

Der Preis für die Salami-„Taktik“ wird hoch sein und das nicht nur wirtschaftlich. Nachdem teilweise bewusst das aus der rechten Ecke stammende Argument in der Mitte übernommen wurde, statt auf die Inzidenz und die weitgehend berechenbare Entwicklung auf die verfügbaren Intensivbetten zu schauen, stoßen wir nun auch dort an Grenzen. In diversen Regionen, wie etwa im Raum Hannover (und wir sprechen hier von mehreren angrenzenden Landkreisen) ist es schon jetzt und für mindestens zwei Wochen (selbst wenn wir das öffentliche und wirtschaftliche Leben jetzt sofort auf Null abbremsen würden) ein ziemlich schlechter Zeitpunkt, um einen Unfall oder einen sonstigen medizinischen Notfall zu haben. (Niedersachsens MP Stephan Weil sah übrigens vor dem Wochenende noch keinen Grund zur Besorgnis.)

Was das bedeutet, habe ich im Januar in einem Artikel zum Thema Triage schon mal umrissen. Die Zögerlichkeit bzw. die Kindergarten-Attitüde vieler Landesregierungen haben bisher schon Leben gefordert. In der aktuellen Dynamik noch Lockerungen anzustreben, kann man schon mit einigem Recht als Menschenversuche bezeichnen.
Auch dazu wurden bereits im Januar Befürchtungen laut, Teile der Politik könnte sich so auf Öffnungen versteifen, sobald die Risikogruppen geimpft wären (ein Punkt, von dem wir noch immer weit entfernt sind), so dass es auf eine Durchseuchungsstrategie hinauslaufen würde, weil man weder die Infektionsraten ausreichend gesenkt hätte noch die Geduld aufbringen würde, eine Herdenimmunität durch Impfung abzuwarten.

No Covid

In meinen Augen müssten zwei Dinge passieren. Wir müssten endlich ernsthafte Maßnahmen ergreifen, um die Infektionsraten zu senken und dabei tatsächlich die Kontaktorte in den Blick nehmen, wo die meisten Menschen aufeinander treffen. Wenn diese Phase ausreichend strikt gehalten würde und tatsächlich mal für einen Moment alles runtergefahren würde, was nicht absolut nötig ist und was nicht aus dem Home-Office erledigt werden kann (und wir wären vermutlich überrascht, wie groß der Anteil plötzlich wäre), müsste diese Phase auch nicht all zu lang sein. Die meisten Berechnungen gehen von maximal zwei bis drei Monaten aus und das auch nur, weil wir zugelassen haben, dass uns die Situation so entgleitet. Im Frühjahr und selbst im Herbst 2020 wäre weniger genug gewesen.

Gleichzeitig müsste diese Zeit genutzt werden, den vorhandenen Impfstoff so effektiv wie möglich zu verteilen und wenn irgendwie möglich die vorhandene Menge zu erhöhen. Letzteres übrigens global, denn uns ist kaum geholfen, wenn wir für den Moment durchgeimpft sind, aber rund herum an unseren Grenzen wütet das Virus weiter und es entstehen im schlechtesten Fall neue Varianten, gegen die unsere Impfstoffe keinen Schutz bieten. Die Hersteller der Impfstoffe haben bereits Milliarden verdient. Es wäre Zeit, über eine Art Ablöse nachzudenken und die Patente freizugeben.

Wenn dann Lockerungen möglich sind, müssen sie schrittweise erfolgen und von einer Teststrategie begleitet werden. Wir müssen (relativ) sichere Cluster bilden, die zueinander in Kontakt treten können. Diese Cluster können auch den Betrieb umfassen, allerdings muss man sich im Klaren sein, dass dort sehr viele Haushalte mit ihren jeweiligen Umfeldern gleichzeitig aufeinandertreffen.

Die Alternative ist ein weiteres Hin und Her, wobei wir uns bisher immer weiter aufgeschaukelt haben. Der aktuelle Impfplan würde eine ausreichende Immunität erst Anfang bis Mitte den kommenden Jahres erreichen, nur ist der durch den weitgehenden Wegfall des AstraZeneca Impfstoffs ohnehin erstmal Makulatur. Ein weiteres Rumeiern wäre teuer und würde uns am Ende (weiterhin) mehr kosten, als ein kurzer aber wirksamer Einschnitt. Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn diejenigen, die das (wenige) Mühsam erreicht bisher gleich wieder mit dem Hintern eingerissen haben eine Lockerungs-Strategie wie „No Covid“ als „Lockdown-Euphorie“ umdeuten wollen.

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