Die destruktiven „Diskussions“-Strategien der selbsternannten „Konservativen“

Es ist ein Bisschen wie der Versuch, Pudding an die Wand zu nageln, wenn man (nicht erst seit) heute einen Anlauf nimmt, mit selbsternannten Konservativen zu diskutieren. Es wird relativ offensichtlich, dass es sich dabei zum einen oft um Personen handelt, die es überhaupt nicht gewohnt sind, ihre Standpunkte und Ansichten hinterfragt zu sehen und argumentativ verteidigen zu müssen. Darüber hinaus sind diese „Online-Konservativen“ mittlerweile so weit mit der rechten Trollkultur verschmolzen, beziehen von dort nicht nur zu einem großen Teil ihre Informationen, Stichworte und scheinbaren Belege, sondern haben auch viele ihrer Taktiken übernommen. Meiner Erfahrung nach wiederholen sich dabei rund eine Handvoll von Mustern immer wieder.

Zunächst: Warum selbsternannt?

Ich nutze seit längerem recht konsequent die Formulierung „selbsternannte Konservative“. Das hat zwei Gründe. Zum einen halte ich den Begriff für eine reine Worthülse. Ich habe bisher noch niemanden getroffen, der sich dieses Etikett angeheftet hat und es auch nur ansatzweise mit konkreten Inhalten, Idee oder Prinzipien füllen konnte und zu erklären vermochte, wie sich das von andere Wertesystemen abhebt.
Vor allem aber nutze ich die Formulierung, weil es meiner Erfahrung nach vor allem reine Selbsthypnose ist. Wie Sascha Lobo in seiner (übrigens dieses Mal wieder sehr lesenswerten) aktuellen Kolumne auf Spiegel-Online richtig erkennt: „Diese Leute wollen nicht rechtsextrem genannt werden, vertreten aber oft rechtsextreme oder rassistische Positionen oder haben nichts gegen Faschisten. Ihr öffentliches Ansehen jedoch soll darunter gefälligst nicht leiden“ 

Man könne ja gar nichts rassistisches, sexistisches usw. gesagt haben, schließlich sei man ja kein Rassist sondern „konservativ“. Tatsächlich biegen genau diese Personen in praktisch jeder Diskussion sehr zuverlässig nach einiger Zeit in Richtung Rassismus, Sexismus oder einer anderen Form gruppenbezogener Menscheinfeindlichkeit ab. Man kann praktisch die Uhr danach stellen.

Voll Troll?

Reine Trolle gibt es natürlich und einige dieser Exemplare haben wir mittlerweile auch hier in den Kommentaren – nicht unbedingt die geschicktesten Exemplare ihrer Art, möchte ich ergänzen. Wessen Beiträge ab einem gewissen Punkt hauptsächlich (und fast wortwörtlich) aus „Ihr seid alles so doof, aber ich amüsiere mich prächtig über Euch“ besteht, hat sein Handwerk nicht gelernt.
Und wer diesem traurigen Betteln um Aufmerksamkeit noch nachgibt und darauf (egal in welcher Form) reagiert, verdient es nicht besser, als die nächste sinnlose Runde im Karussell zu drehen, in dem man nie wirklich von der Stelle kommt und immer alle da aussteigen, wo sie eingestiegen sind. Glücklicherweise gehen dem immer weniger Kommentatoren auf den Leim.

Alte weiße Männer?

Ja, auch und wenn man das „alt“ wegnimmt, beschreibt das wohl einen Großteil dieser Personengruppe. Es handelt sich um Menschen, die sich noch bis vor kurzem ganz selbstverständlich als alleinigen Maßstab gesehen hat. Sie repräsentierten das „Normale“, entsprechend waren alle, die optisch oder ideologisch von ihrer Linie abwichen, abnormal. Dass neuerdings auch andere Gruppen eigene Standards setzen und jetzt plötzlich auch die alten Inhaber der Deutungshoheit hinterfragt werden und Kritik ausgesetzt sind (wichtig ist hier das Wort „auch“, denn man „Konservativen“ zuhört, könnte man meinen, es hätten sich jetzt alle gegen sie verschworen), kommt nicht gut an.
Es ist auch in Diskussionen regelmäßig zu beobachten, dass diese Personen nicht gewohnt sind, ihre Standpunkte argumentativ untermauern und verteidigen zu müssen. Sie sind es gewohnt, dass ihr Wort gilt und für bare Münze genommen wird. Wenn ihre Behauptungen hinterfragt oder widerlegt werden, geraten sie schnell in die Defensive, werden wütend, aber in der Regel auch recht hilflos.

Das dürfte auch der Hauptgrund für die destruktiven Diskussionstaktiken (oder eher Diskussionsverhinderungstaktiken) sein, um die es in diesem Text gehen soll. Es sind Versuche, die Diskussionshoheit zu erlangen und – wenn das nicht funktioniert – sich zumindest nicht inhaltlich mit den Gegenargumenten auseinandersetzen zu müssen. (Ob sich die betreffende Klientel dann tatsächlich einbildet, die Diskussionen gewonnen zu haben, wäre spannend). Dann also mal los….

1. Narrative als Fakten darstellen

Die einfachste Variante ist, (oft extrem verzerrte) Narrative mit einem (kleinen) wahren Kern als Fakten und allgemein anerkannte Sichtweise der Geschehnisse darzustellen. Hier handelt es sich oft um eine extrem eingefärbte Perspektive, die aber zumindest rudimentär auf Tatsachen beruhen. Sobald allerdings Gegenwind aufkommt, wird so getan, als wäre es vollkommener Irrsinn, diese einseitige Position nicht zu teilen.

2. Lügen

Die Steigerung davon ist das Erfinden von Tatsachenbehauptungen. Wenn man einfach mal auf gut Glück im Brustton der Überzeugung eine Behauptung raus posaunt, muss erstmal jemand widersprechen. Ein schönes Beispiel ist etwa die Behauptung von Stefan Pietsch, die rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Thüringen wären 2009 ausschließlich am Temperament von Ramelow gescheitert, was auch von allen Beteiligten so gesehen worden wäre. Man kann natürlich einfach hoffen, dass jetzt niemand nach elf Jahre alten Artikeln googelt und die Behauptung richtig stellt.
Eine beliebte Variante davon ist auch, so viele Unwahrheiten zu behaupten, dass sich niemand die Mühe machen wird, ALLEN zu widersprechen und die unwidersprochenen Behauptungen dann als Version darzustellen, auf die man sich ja geeinigt hätte.

3. Unwahrheiten wiederholen

Nur weil man einmal korrigiert worden ist, heißt das ja noch lange nicht, dass man es mit der gleichen Behauptung nicht später noch mal versuchen kann. Hier werden auch Menschen zu Recycling-Fans, die damit sonst wenig anfangen können. Ein Beispiel dafür ist die „Grenzöffnung“ im Jahr 2015, die ich schon nicht mehr als Narrativ durchgehen lassen würde.
Ich bin mir von Fall zu Fall unsicher, ob diese Topoi tatsächlich geglaubt werden oder ob man sie einfach weiter verwendet, weil sie so schön etabliert sind und zumindest das geneigte Publikum darauf zu zuverlässig anspringt.

Ich nehme an, dass viele dieser ersten drei „Argumentations“-Muster eigentlich eher für den szeneinternen Gebrauch bestimmt sind bzw. dort ihren Ursprung haben, wo diese Behaupten geglaubt werden wollen. Ich habe vor einigen Wochen in meinem Text „Der Wille, sich betroffen zu fühlen“ schon mal das Vorkommen von Memes und Behauptungen angesprochen, die eigentlich zu lächerlich und offensichtlich fabriziert sind, als dass sie jemand ernsthaft glauben könnte, es sei denn, man hätte bereits beschlossen, sich zu empören und würde jetzt nur noch den Anlass konstruieren.
Nicht selten handelt es sich um ein Ritual in der Bubble, mit dem man sich gegenseitig versichert, auf der gleichen Seite zu stehen. Dieser Mechanismus funktioniert aber natürlich nicht bei Personen, die gar nicht zu dieser Seite gehören möchten und widersprechen.

4. thematisches Hakenschlagen

Ein beliebter Ansatz mit Widerspruch umzugehen, ist immer neue Nebenkriegsschauplätze aufzumachen. Das kann in verschiedenen Formen passieren. Zum Beispiel: „Wenn du dich über Thema A aufregst, musst du dich aber erst recht über Thema B aufregen„. Alternativ werden auch gerne (kleinste) Nebenaspekte der Kritik in den Vordergrund gestellt. Ziel ist es, dass es nicht mehr um den Kern des Widerspruchs geht (gegen den es an Argumenten fehlt), sondern der Kritiker mit immer neuen Themenwechseln davon abgelenkt werden soll, die Schwächen in der Argumentationskette offen zu legen.
Eine Abwandlung davon ist es, einfach immer neuer Falschbehauptungen in die Debatte einzubringen. Die rechten Trolle haben hier einen gigantischen Vorteil: Ihre Aussagen sind nicht durch Fakten beschränkt. Es ist sehr viel einfacher, sich einfach neue Behauptungen aus den Fingern zu saugen, als die Einzelheiten dazu immer wieder überprüfen und richtigstellen zu müssen. Letztendlich handelt es sich hier also um eine Zermürbungstaktik.

5. Worte verdrehen und versuchen,den Gegner in die Defensive zu zwingen

Wenn es mit der Ablenkung nicht klappt, wird gerne auf Angriff geschaltet. Eine der häufigsten Varianten ist es, dem Kontrahenten Aussagen zu unterstellen, die er nicht getätigt hat, um ihn dazu zu zwingen, diese zurückzuweisen und in Rechtfertigungsdruck zu bringen. Auch dabei geht es darum, vom eigentlichen Thema, von der Ursprünglichen Kritik und den Aussagen abzulenken, die der „Konservative“ nicht verteidigen kann und im Zweifelsfall den Kritiker dazu zu bringen, die Konversation einzustellen.

6. Die Kumpel-Masche

Auch das Gegenteil ist denkbar. Vor allem, wenn die Lüge nicht mehr zu leugnen ist, wird gerne mal in den Kumpel-Modus geschaltet „Sei doch nicht so hart zu mir…“ gefolgt von einer Beteuerung, dass  man sich doch eigentlich gar gut verstehe oder dass man gerade so furchbar gestresst und „der kleine Fehler“ eben durchgerutscht sei.
Hier geht es vor allem um Schadensbegrenzung und den Versuch, davon abzulenken, dass man ertappt und gestellt wurde.

7. Die Notbremse

Wenn gar nichts anderes mehr funktioniert, wird ein Vorwand gesucht, um die Konversation abzubrechen, ohne zugeben zu müssen, dass man beim Lügen erwischt wurde oder argumentativ nicht gegen die Kritik ankommt. Dabei wird dann ein Grund gesucht, warum man sich überhaupt nicht mehr inhaltlich mit seinem Gegenpart auseinandersetzen müsse. Es wird dann ein (Neben-) Satz oder auch manchmal nur ein einzelnes Wort herausgesucht, mit dem sich der Kritiker ja nun wirklich für jede weitere Interaktion disqualifiziert hätte. Man gibt sich wahlweise schwer empört oder versucht den Anderen als Extremisten zu definieren, mit dem man eh nicht reden wolle.

Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber es deckt im großen und ganzen ab, was ich in den letzten gut zehn Jahren auf verschiedenen Plattformen erlebt habe. Erschreckend dabei finde ich, dass um 2010 nicht nur immer mehr Akteure dieser Spezies aufgetaucht, sondern seitdem auch früher durchaus diskursfähige Personen in diese Richtung abgebogen sind.
Wie bereits oben angedeutet, halte ich das vor allem vor allem für eine Folge der Filterbubble (der ich mich in naher Zukunft noch mal gesondert widmen möchte) in der viele Mitglieder eines politischen Stamms den gleichen Input aus den gleichen Quellen bekommen. Das Ergebnis ist allerdings hoch problematisch.

Wir haben Diskussion gegen Debatte getauscht. Statt um den Austausch von Argumenten, in dem man sich eventuell sogar mal auf die Perspektive der anderen Seite einlässt, geht es nur um gewinnen bzw. den Anschein davon, selbst ohne ein einziges stichhaltiges Argument zu haben. Ich würde auch nicht behaupten wollen, dass es keine linken Trolle gibt (die gibt es sicher), aber ich sehe hier schon ein recht starkes rechtes Übergewicht, zumal sich diese Strategien oft und vermehrt auch in Kreisen wiederfinden, die (s.o.) sich nicht als „rechts“ bezeichnen lassen wollen.

Im Original veröffentlicht auf Deliberation Daily.

Eine Antwort zu “Die destruktiven „Diskussions“-Strategien der selbsternannten „Konservativen“

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