Filterblasen und alternative Universen

Wir kennen Spiegeluniversen vor allem Science Fiction Romanen und Filmen. In Star Trek tauchen wiederholt Charaktere aus einer anderen Dimension aus, die ihren Pendants in unserer Welt fast zum Verwechseln ähnlich sehen, aber charakterlich das komplette Gegenteil darstellen. Der bärtige Spock, ein brutaler sadist, hat es gar zu musikalischen Ehren gebracht.

Zunehmend könnte man auch bei uns das Gefühl bekommen, dass die unterschiedlichen Teile des politischen Spektrums in unterschiedlichen Welten leben. Wir sind noch nicht ganz an dem Punkt, an dem etwa die USA angelangt sind, aber wir nähern und in erschreckend schnellen Schritten. Und dieses Bild von den verschiedenen Welten dürfte zutreffender sein, als vielen von uns klar ist.


Filterblasen

Der Begriff der Filterblase ist in den letzten Jahren gelegentlich in die Kritik geraten. Das vorgebrachte Argument, die Menschen würden heute durch das Internet mehr Zugang und unterschiedlichen Informationsquellen haben und nutzen, als jemals zuvor, übersieht in meinen Augen, dass beide Vorgänge parallel stattfinden können. Es können im Schnitt immer mehr Menschen verschiedene Medien nutzen (wobei man da schauen muss, von welchem Ursprungszustand und von welcher Frequenz man spricht – mal einen verlinkten Artikel anklicken ist mehr als die Lokalzeitung in den 90ern, aber immer noch etwas anderes, als regelmäßig gezielt bei verschiedenen Medien), während relevante Minderheiten zunehmend in ihrer eigenen Echokammer verbleiben.

In meinem Artikel „Der Wille, sich betroffen zu fühlen“ im Nachgang von „Omagate“ habe ich einige Mechanismen aufgezeigt, die dazu führen, dass viele Menschen in den sozialen Medien zu einem wesentlichen Teil nur noch über Memes kommunizieren, deren Aussage sie nicht überprüft haben und zum Teil vermutlich nicht mal verstehen. Aber durch das Teilen und Verbreiten bestätigen sie ihre Gruppenzugehörigkeit.
Je mehr man sich aber in der Gruppe bewegt und selbst pausenlos mit neuem Material der gleichen inhaltlichen Marschrichtung gefüttert wird, desto weniger beschäftigt man sich mit anderen Perspektiven (allein zeitlich dürfte das irgendwann nicht mehr zu schaffen sein). Eine andere Sichtweise wäre auch ein Bruch mit der Gruppenidentität und würde im krassesten Fall zum Ausschluss führen.

Down the Rabbit Hole

Der Weg in den Kaninchenbau (eine Anspielung auf „Alice im Wunderland) beginnt oft sogar relativ harmlos. Mit relativ allgemeinen Themen werden Menschen an einschlägige Erzählungen herangeführt und über Durchlauferhitzer zu immer krasseren (sich auch teilweise widersprechenden) Inhalten geleitet. Vor allem Rechts und auch teilweise links ist das Vehikel oft Empörung (auch wenn die Behauptungen, über die man sich aufregen soll, teils sehr unterschiedlich glaubwürdig sind bzw. wären, würde man nur mal einen Moment darüber Nachdenken und Behauptungen überprüfen). Auch hier im Blog lässt sich diese Strategie immer wieder beobachten. Dazu kommen Scharnieraccounts, die Themen von den Extremen in gemäßigtere Kreise tragen und dort verbreiten. Gleichzeitig werden auch viele einzelne Akteure immer extremer und krawalliger, zum einen um überhaupt noch gehört zu werden, zum anderen um immer noch einen drauf zu setzen und interessant zu bleiben.

Algorithmen – kleiner Helfer und großes Problem

Ein großer Baustein auf diesem Weg ist oft nicht das lenkende Einwirken von Personen, sondern von Technik. Bleiben wir dabei zunächst mal bei den sozialen Medien, wo Algorithmen vor allem ein Ziel haben: Sie sollen den Nutze so lange wie möglich auf der jeweiligen Plattform halten. Je mehr sogenannte „Eyeball Hours“ aus einem Nutzer herausgeholt wird, desto mehr Werbung kann ihm vorgeführt werden. Das ist die eine Seite. Dabei haben die Programmierer festgestellt, dass Inhalte, die den Betrachter empören, eher geteilt werden und ihn dazu motivieren, tiefer in das Thema einzutauchen, als positive Inhalte. Entsprechend werden uns also verstärkt Inhalte gezeigt, die unsere sensiblen Knöpfe triggern.

Gleichzeitig haben diese Algorithmen den Ansatz, vorhandene Tendenzen zu verstärken. Der Nutzer soll berechenbarer werden, leichter einzuordnen, damit man ihm noch sicherer passendere Inhalte und vor allem eben Anzeigen oder Werbespots zeigen kann. (Man sollte nie vergessen, dass wir bei diesem Geschäftsmodell nicht der Kunde sind, sondern das Produkt.) Das hat eine ganz harmlose Seite. Wer nach Autos und Testberichten sucht, also vermutlich über einen Autokauf nachdenkt, soll in dieser Tendenz bestärkt werden. Das gleiche trifft aber auch zu, wenn jemand nur latent xenophobe oder rassistische Tendenzen zeigt. Er werden ähnliche Inhalte Gesucht, die Personen, die auch das gesehen hatten, mochten – es wird aber überwiegend zur nächst-schärferen Variante geleitet.

Facebook etwa hat vor nicht all zu langer Zeit in einer Analyse herausgefunden, das 64 % aller Beitritte in extremistischen Gruppen jeglicher Couleur nicht durch eine persönliche Einladung, sondern durch einen Vorschlag des eigenen Algorithmus zustande gekommen sind. (Etwas getan, um das zu unterbinden, hat man freilich nicht.)
Auf Youtube kann man das recht gut selbst austesten, indem man ein Video mit dezent subversivem Inhalt schaut (oft reicht dafür eine Kabarett-Sendung oder auch nur eine historische Dokumentation) und dann die Autoplay-Version laufen lassen. Nach wenigen Videos landet man nicht selten bei Verschwörungstheorien oder Holocaustleugnern etc.

Die geteilte Realität

Fast noch dramatischer wird das Problem der Algorithmen, wenn es um die Suche nach Informationen an sich geht. Wenn wir etwas nicht wissen „googeln“ wir es. Und die Meisten gehen davon aus, dabei eine ansatzweise objektive Auswahl zu erhalten. Doch das ist nicht der Fall. Die Suchergebnisse unterscheiden sich je nach der persönlichen Suchhistorie und anderer Informationen, die Google über Cookies etc. gesammelt hat gewaltig. Das ist einerseits praktisch, weil unsere Suchergebnisse damit besser auf das zugeschnitten sind, was sich finden wollen. Es ist aber auch ein großes Problem.

Es kann also tatsächlich sein, dass das Gegenüber bestimmte Fakten im wahrsten Sinne nicht sieht, weil sie oder er diese Informationen selbst mit einer relativ neutralen Fragestellung nicht zu sehen bekommen. Das macht es aber extrem schwer, sich auf einer gemeinsamen Grundlage über strittige Themen zu unterhalten und vielleicht sogar zu einem Konsens zu kommen.

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