Wenn politische Kommunikation so richtig schief geht

„Virtue Signaling gone wrong“ wollte ich diesen Text eigentlich zunächst überschreiben. „Virtue Signaling“ bezeichnet angebliche Kommunikation mit der Allgemeinheit, mit der aber eigentlich nur die eigene politische Blase erreicht werden soll. Oft passiert das in einer geradezu theatralischen Weise, die das Gesagte für Nicht-Eingeweihte fast wie eine Karikatur wirken lässt. Erst wenn man es als Schauspiel für ein ganz bestimmtes Publikum begreift, dem damit Loyalität und Zugehörigkeit signalisiert wird, ergibt es Sinn.

Und damit sind wir bei einer weiteren vollkommen überflüssigen Debatte in der deutschen Politik- und Medienwelt. Und wenn wir hier schon mit Social-Media-Slang um uns werfen, wäre ich für den Hashtag „#Vollhorst“.

Sollte es irgendjemand noch nicht mitbekommen haben: Am vergangene Montag (16.02.2020) veröffentlichte die Journalistin Hengameh Yaghoobifarah in der taz eine Glosse mit dem Titel „All Cops are berufsunfähig„. Der Text basierte auf der Forderung von Black Lives Matter, die Aufgabengebiete der Polizei in den USA drastisch zu verringern und große Teile des Budgets umzuverteilen (kurz: „Defund the Police“) und übertrug die Idee auf Deutschland. In einem ziemlich polemischen Ton fragt Yaghoobifarah, was man denn mit den ehemaligen (gewalttätigen und rassistischen) Polizisten noch anfangen könnte, wenn die Polizei abgeschafft würde. Besonders entzündete sich die Debatte am Schlusssatz, dass man die ehemaligen Polizisten ja auf der Müllkippe arbeiten lassen könnte, „wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten“.

Nun ist die Diskussion über verschiedene Formen von Fehlverhalten der Polizei und anderer deutscher Sicherheitsorgane mehr als überfällig. Das wäre Racial Profilung, die fast schon routinemäßige Desinformation durch Polizeipressesprecher bei allem, was irgendwie mit Linken in Verbindung gebracht wird, während man rechtsextreme Tathintergründe ebenso regelmäßig „übersieht“. Und dann waren da noch die rechtsradikalen Netzwerke in der Polizei und Weitergabe von sensiblen Daten an Neo-Nazis. Aufzuarbeiten gäbe es einiges.

Leider leistet der Kommentar von Hengameh Yaghoobifarah dazu keinen Beitrag. Es ist eher ein Dampf ablassen und wenn Sie statt auf der Müllkippe „als Flaschensammler“ geschrieben hätte, wäre der Text vielleicht sogar weitgehend unbemerkt geblieben bzw. schnell in der Versenkung verschwunden. Denn zunächst war die Beurteilung spektrumsübergreifend weitgehend negativ, auch bei denen, die etwa den Vorstoß von Saska Esken durchaus berechtigt fanden. Lediglich, dass die taz-Redaktion (die der Veröffentlichung ja irgendwann mal zugestimmt haben musste) sich so eilfertig von der Autorin distanzierte, wurde mit etwas befremden aufgenommen.

Dass sich die Scharfmacher von der Deutsche Polizeigewerkschaft um Rainer Wendt (die im Gegensatz zu dem, was der Name suggeriert nur eine kleine Rand-Gewerkschaft ist) einer Anzeige genötigt sah, nahm man noch mit einem genervten Augenrollen hin. Dass die sonst etwas ernstzunehmendere Gewerkschaft der Polizei gleichzog, war schon eher enttäuschend. Immerhin war in jahrelangen Prozessen um Akronyme wie A.C.A.B. bereits gerichtlich geklärt worden, dass die Polizei als Ganzes nicht im juristischen Sinne beleidigt werden kann und andere Straftatbestände wie Volksverhetzung, die teilweise angedeutet wurden, waren noch alberner, da Polizisten keine Bevölkerungsgruppe nach § 130 Abs. 1 StGB darstellen (man hätte sich gefreut, wenn hochrangige Polizeifunktionären das klar wäre). Kurz: Man müsste ein ziemlicher Vollidiot sein, um dieses schon am Dienstag tote Pferd mehrere Tage später noch reiten zu wollen.

Auftritt Horst Seehopfer. Nachdem die CSU einige Tage vorher schon eine Art Steckbrief der Autorun als Meme verbreitete, steigt am 21. Junu in das Thema ein und teilte via Bild (was auch sonst) mit, dass er in seiner Funktion als Innenminister gedenke, Anzeige gegen die Journalistin zu stellen. Pressefreiheit? Nie was von gehört, wie es scheint.

Gut, über die Eignung von Seehofer für irgendein Amt muss man eigentlich seit den 80ern nicht mehr diskutieren, als er HIV-Infizierte internieren wollte. Es ist aber ein interessantes Beispiel für die Wirkung von Virtue Signaling, denn auch wenn die zahnlose Drohung an die eigene Blase gerichtet war, hat sie vor allem die Gegenseite mobilisiert. Selbst, wenn von der Mitte an Links die Glosse misslungen fand, sah sich nun genötigt, sich hinter die Autorin und ihr Recht, schlechte (und offensichtlich satirische) Texte zu veröffentlichen zu stellen.

Verstärkt wird diese Polarisierung noch durch den Versuch, rechter Teile der Union un der AfD, die Krawalle in Stuttgart mit der Aussage von Saskia Esken und dem Text von Hengameh Yaghoobifarah in Verbindung zu bringen. Dafür ist neben Unredlichkeit natürlich auch eine gehörige Portion Dummheit vonnöten. Das ist um so bedauerlicher, als dass beides eigentlich verbindende Themen sein könnten. Wer sich die endlose Liste an „Einzelfällen“ anschaut, kommt kaum umhin, anzuerkennen, dass wir eine Debatte über bestimmte Strömungen in der Polizei brauchen. Wer auf dem Boden des Grundgesetzes steht, kann das nicht mehr leugnen oder übersehen wollen. Gleichzeitig wären sich die Meisten quer über das Spektrum einig gewesen, dass diese Glosse dafür nicht der richtige Ansatz war. Jetzt sitzen wir alle wieder im Lager unsere politischen Stammes und schlagen die Kriegstrommeln.

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