Wenn sich der Staub gelegt hat

Fast wäre Libyen sein Waterloo geworden. Guido Westerwelle, einst gefeierter Kopf der damals von sich selbst berauschten FDP, heute Prügelknabe für nahezu jeden aktiven Kollegen und zahlreiche politische Pensionäre. Zuletzt schlossen sich Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl und Außenminister a.D. Joschka Fischer dem munteren Spießrutenlauf an. Vor allem Westerwelles Haltung in der Libyen-Frage sei unverzeihlich, so der gemeinsame Tenor.

Gut, der Versuch unseres Außenguidos, die deutschen Sanktionen zum finalen Fallstrick des Gaddafi-Regimes stilisieren zu wollen, war peinlich, ohne Wenn und Aber. „Wir“ waren in Libyen nicht dabei, so sehr sich das mancher im Schein der aktuellen Bilder auch wünschen mag. Vielleicht wäre es aber klüger erstmal abzuwarten, welches Bild sich uns bietet, wenn sich der Staub gelegt hat. Gut möglich, dass wir danach gar nicht mehr so traurig sein werden, keinen Anteil an diesem „Triumph“ zu haben.

Da wäre zunächst einmal die völkerrechtliche Komponente. Auch wenn im Moment keine juristische Aufarbeitung zu erwarten ist, weil keine relevante Partei Anklage erheben kann oder wird, so hat der Nato-Einsatz sein Mandat sehr schnell über den Haufen geworfen. Mit dem „Durchsetzen einer Flugverbotszone“ und dem „Verhindern von Massakern an der Zivilbevölkerung“ hatte es wenig zu tun, als Luftstreitkräfte der Nato den Rebellen den Weg in die Hauptstadt freigebombt haben.

Die Rebellen selbst sind das nächste unsichere Element. Relativ sicher lässt sich bisher nur sagen, dass sich in Libyen keine von großen Teilen der Bevölkerung getragene Reformbewegung gebildet hat. Weder war der Fronverlauf Machthaber gegen Volk so eindeutig, wie es teilweise dargestellt wird, noch kann heute wirklich jemand mit Sicherheit sagen, welchen Akteuren mit was für Motiven man da gerade zur Macht verholfen hat.

Mehr noch, selbst ob der Umsturz nach dem endgültigen Sieg über die alten Machthaber, und zumindest der dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, nicht unmittelbar in einen Bürgerkrieg mündet, in dem die heute Alliierten die neue Rangordnung im Staat auskämpfen, steht in den Sternen. Klar ist nur, dass weder UN noch NATO über die Mittel verfügen würden, das zu verhindern.

Was also jetzt? Die Bilanz des „Nation-Buildings“ des Westens in diesem Jahrtausend sieht ziemlich mager aus. In Afghanistan gewinnen die Taliban wieder vermehrt an Boden und im Irak geht es den Menschen heute in vielen Regionen schlechter als unter dem despotischen aber immerhin stabilen Regime von Saddam Hussein.

In beiden Ländern geht es aus Sicht der Westalliierten, einmal mit, einmal ohne deutsche Beteiligung, nicht mehr um die Verwirklichung einer Gesellschaftsordnung nach demokratischen Grundregeln, sondern nur noch um einen möglichst zügigen Abzug mit zu wenig Verlusten an Menschenleben und Geld, wie nur irgendwie möglich. Ob man Libyen eine bessere Perspektive bieten kann, scheint angesichts der wirtschaftlichen Probleme in den USA und Europa mehr als fraglich.

Und damit wären wir wieder bei Guido Westerwelle und dem, zugegebenermaßen etwas beängstigenden, Gedanken, dass wir ihm vielleicht in einigen Jahren dankbar sein könnten, dass er uns eine Teilnahme an diesem möglichen Fiasko erspart hat, wie man heute Schröder und Fischer für die Nicht-Teilnahme am zweiten (eigentlich dritten) Irak-Krieg zu loben hat (auch wenn sie Deutschland in den mindestens genau so fragwürdigen Afghanistanfeldzug hineingeritten haben).

Vielleicht würde der deutschen Politik und uns allen ein längerer Atem gut tun. Vielleicht sollten wir die Abrechnung erst am Ende aufmachen, statt uns bei den aktuellen Jubelbildern zu ärgern, dieses Mal nicht dabei gewesen zu sein. Und vielleicht ist Westerwelles historisches Erbe am Ende, abgesehen davon, die FDP zu ihren besten Wahlergebnissen und gleich im Anschluss aus fast allen Parlamenten heraus geführt zu haben, uns dieses militärische Abenteuer erspart zu haben.

Im Original veröffentlicht beim Spiegelfechter

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