Geordneter Rückzug?

Das noch nicht allzu alte 21. Jahrhundert ist an militärischen Operationen, in nicht wenigen Fällen könnte man auch sagen „Abenteuern“, nicht gerade arm. Die beiden ersten bewaffneten Konflikte sollten sich jetzt, wenigstens offiziell und zumindest für den Westen, ihrem Ende nähern. Die Regierungen der beteiligten Länder wollen so schnell wie möglich raus aus dem Krisengebiet, um einerseits innenpolitisch zu punkten, nicht zuletzt aber auch wegen der horrenden Kosten. Etwas mehr als zehn Jahre nach dem Beginn des Afghanistan-Feldzuges und am Beginn des Abzuges ist es Zeit für eine Bilanz.

Dabei darf ein Blick auf die Anfänge der beiden Kriege nicht fehlen. Der Beginn der Kampfhandlungen in Afghanistan liegt nur knapp einen Monat nach dem Anschlag auf das World Trade Center vom 11. September 2001. Präsident Bush Jr. hatte Vergeltung (und nicht etwa Aufklärung) angekündigt und so musste schnell ein Ziel gefunden werden.
Auch wenn man sehr schnell vermutete, dass Pakistan in der Unterstützung von Al Quaida eine sehr viel größere Rolle spielte als das rückständige Afghanistan, wollte man sich nicht an einer Atommacht die Zähne ausbeißen. Die Lösung lag bei den Taliban. Denen hatte zwar, was heute gerne vergessen wird, niemand ernsthaft vorgeworfen, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Es reichte aber, dass sie die Präsenz westlicher Streitkräfte nicht dulden wollten, um sie zum Kriegsziel zu machen.
In den USA war zu diesem Zeitpunkt eine kritische Auseinandersetzung nicht mehr möglich. Wer auch nur leise widersprach wurde als unpatriotisch gebrandmarkt und von der im Kriegstaumel gefangenen Medienmaschinerie niedergewalzt. Im weniger enthusiastischen Europa, abgesehen von dem an Kriege gewöhnten Großbritannien, wurde mit dem Unrechtsregime der Taliban argumentiert. In Deutschland konnte man zeitweise das Gefühl bekommen, die Bundeswehr zöge für die Frauenrechte in die Schlacht.

Noch etwas abstruser ist die direkte Vorgeschichte der militärischen Maßnahmen gegen den Irak. Manche nehmen an, dass die Entwicklung ihren Lauf nahm, als der Irak sich als einziger Staat in der UN Vollversammlung einer Verurteilung der Anschläge vom 11. September verweigerte. Auffällig wurde, dass der Irak und sein Machthaber Saddam Hussein im Verlauf des Jahres 2002 immer öfter in das Zentrum des Interesses rückten.
Der Versuch mit – wie man heute weiß und schon damals mehrheitlich annahm – gefälschten Belegen für Massenvernichtungswaffen eine Mehrheit im UN Sicherheitsrat zu bekommen, scheiterte und so machte sich eine „Koalition der Willigen“, spürbar kleiner als noch in Afghanistan, auf, um das zu Ende zu bringen, was 1991 nicht beendet worden war. Die im Herbst versprochene „bedingungslose Solidarität“ (Gerhard Schröder) der rot-grünen Regierung in Deutschland war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich bereits ausgelaufen und so beteiligte sich die Bundeswehr nicht an den Kampfhandlungen.

Auch im Werdegang der Antagonisten weisen die Konflikte Parallelen auf. So waren die Gegner in beiden Fällen früher einmal Verbündete der USA und wurden erst von ihnen wirklich hochgerüstet.
Was wir heute unter dem Begriff Taliban kennen, ist vor allem ein Zweig bzw. eine Abwandlung der Mudschahedin, der von den Vereinigten Staaten unterstützen afghanischen „Freiheitskämpfern“ gegen den Einmarsch der Sowjetunion 1979 bis 1989.
Die Geschichte des zweiten Golfkrieges beginnt im gleichen Jahr (1979) mit der Machtübernahme von Saddam Hussein, der mehr oder weniger als erste Amtshandlung große Teile der innerparteilichen Konkurrenz liquidieren ließ. Das störte aber nicht, da er sich nach der islamischen Revolution gegen das neue Regime in Teheran stellte und dabei auch von den USA ausgestattet wurde (wobei die im Verlauf des Krieges beide Seiten unterstützten). In der Gunst des Westens sank er erst, als er auf die Idee kam, dass der Ölreichtum seines Landes in erster Linie dessen Bevölkerung und nicht westlichen Ölfirmen zugute kommen sollte und die Kosten des ersten Golfkrieges von den Anrainerstaaten ersetzt haben wollte, die der Irak seiner Meinung nach vor den Expansionsabsichten des Irans geschützt hatte. Dem Versuch, sich am Kuwait schadlos zu halten, führte zum zweiten Golfkrieg (1990-1991), in dem die Alliierten aus nie wirklich geklärten Gründen ihren Vormarsch kurz vor Bagdad
stoppten.

Auch militärisch ähnelten sich die Verläufe in beiden Ländern. Ein schnelles Herstellen der Luftüberlegenheit geht in einen scheinbaren Durchmarsch auf dem Boden über. Schließlich, wie sich recht schnell zeigen sollte, verfrüht, die Siegeserklärung der Alliierten, gefolgt von einem Partisanenkrieg, der sich über Jahre hinzieht und spätestens heute all jene bestätigt, die schon 2001 bzw. 2003 sicher waren, dass der „Krieg gegen den Terror“ militärisch nicht zu gewinnen sein würde.
Was die Situation noch schlimmer macht ist, dass man für keines der beiden Länder irgendeinen Plan für die Zeit nach den Kampfhandlungen hatte. Man kann nur mutmaßen, welche Experten da zu dem Schluss gekommen waren, man müsste nur ein paar Sicherheitskräfte ausbilden, ein paar Brunnen bohren und schon würde sich das Land zu einer Musterdemokratie nach westlichen Standards entwickeln.
Ironisch ist dabei, dass zumindest der Irak bis 1990 eines der bestentwickelten Länder im nahen Osten war. Ähnliches galt, das nur als Exkurs, übrigens auch für Libyen, das auf den gängigen Indizes weit über so manchem osteuropäischen EU-Aspiranten lag.

Der Preis der planlosen Intervention ist hoch. Die westlichen Streitkräfte haben insgesamt bisher 7500 Soldaten verloren. Allein das wäre ein hoher Preis, wenn man eigentlich keine Ahnung hat, wofür diese Männer und Frauen eigentlich da sind. Unter der Zivilbevölkerung sind nach konservativen Schätzungen bisher rund 130.000 Opfer zu beklagen (andere Schätzungen gehen von deutlich mehr Toten aus), knapp 80% davon im Irak. Die Kosten der beiden Kriege gehen in die Billionen.
Der Großteil dieser Toten ist den Bürgerkriegen geschuldet, in denen verschiedene Fraktionen versuchen, das nach den Invasionen entstandene Machtvakuum zu füllen. Mit ungewissem Ausgang, auch wenn sich im Moment zumindest schon mal abzeichnet, dass „unsere Lieblinge“ nach dem Abzug in arge Schwierigkeiten kommen werden.

Dass der Abzug kommt, ist klar und auch, dass er zu früh kommt. Obama hat im November kommenden Jahres eine Wahl zu gewinnen und könnte mit dem Rückzug bzw. den Rückzügen wenigstens ein Versprechen einlösen. Wohl deshalb erfolgt der Abzug aus dem Irak noch 2011, zum Auftakt des Wahlkampfes, und der aus Afghanistan im Laufe des kommenden Jahres, gut getimet auf dem Höhepunkt.
Daneben schwebt immer noch das Damoklesschwert eines Einsatzes gegen den Iran über den Alliierten. Schon in Libyen hat sich gezeigt, wie nah am Limit die NATO derzeit agiert. Im Iran wäre mit deutlich mehr Gegenwehr zu rechnen. Die USA und vermutlich Großbritannien (die in dem Fall mit deutlich weniger Verbündeten rechnen müssen) könnten alle frei werdenden militärischen Ressourcen brauchen.

Wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass im ehemaligen Jugoslawien bis heute KFOR-Einheiten stehen, wo alle neu entstanden Länder für sich zumindest leidlich stabil sind und derzeit teilweise über einen Beitritt zur EU verhandeln, kann es eigentlich keinen Zweifel geben, dass ein Ende des Engagements in Afghanistan und im Irak, in denen verschiedene Volks- und Religionsgruppen um ihre Macht ringen, viel zu früh kommt. Welche Fraktion dort am Ende die Oberhand gewinnen wird, ist kaum abzusehen.

Kein Rezept zu haben, kann keine Entschuldigung sein, sich aus der Sache heraus zu winden. Wenn man ein Land aus einer gewissen Stabilität, in vielen Belangen sicher auf einem schlechten Niveau, heraus hebt und die Verhältnisse auf den Kopf stellt, dann sollte man den Menschen dort am Ende etwas Besseres anzubieten haben und sie nicht im Chaos zurück lassen. Sonst hat man jede moralische Überlegenheit verspielt und produziert nebenbei gleich die nächste Generation hoffnungslos Frustrierter. Zukünftige Terroristen?

Im Original veröffentlicht beim Spiegelfechter.

Eine Antwort zu “Geordneter Rückzug?

  1. Danke für den Text, übrigens es ist schon ein starkes Stück, wenn manche Kommentatoren bei SPIEGELFECHTER schreiben, dass Afghanistan die Demokratie gar nicht verdient hat, und man dort schon mit einer „aufgeklärten Militärdiktatur“ – beim Abzug aller US- und NATO-Truppen – zufrieden sein soll.

    Früher dachte ich einmal, dass wir „Demokratie“, und „Freiheit“ fördern, damals als Vaclav Havel noch für diese Werte gekämpft hat, gegen den sowjetischen Totalitarismus.

    Heute werden wieder vermehrt stimmen laut die fordern, dass wir „Diktatur“ und „Unfreiheit“ exportieren sollen, aber die „Demokratur“ in Deutschland verteidigen – Vielleicht schreibst du mal was über diese Abartigkeit.

    Wo sind die Menschen in Deutschland hin, die einst für Demokratie und Freiheit – gegen den Hitler-Totalitarismus – ihr leben ließen? Was ist mit den Werten der „Weißen Rose“, wenn Mitmenschen in Deutschland sich offen für Diktaturen in anderen Ländern aussprechen?

    Wieweit ist unser Land unter „Merkozy“ verkommen, dass wir dies so widerstandslos stehen lassen?

    Gruß
    Bernie

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