2012 in der Glaskugel

Mancher verbringt den Jahreswechsel mit dem Versuch, einen Blick in die Zukunft zu werfen, etwa mit dem Deuten von Figuren beim Bleigießen. Auch hier wird ein Blick in die Glaskugel geworfen und ein bisschen ins Blaue geschossen. Welche Themen werden uns im Jahr 2012 beschäftigen und welche Entwicklungen sind zu erwarten?

Deutschland

Ein innenpolitisches Thema, das uns in der ersten Jahreshälfte sicher noch begleiten wird, ist die Verhandlung über das neue Wahlgesetz auf Bundesebene im März vor dem Bundesverfassungsgericht. Der gegen die Stimmen von SPD, Grünen und Linken durchgesetzte Entwurf der Regierungskoalition hat die vom Gericht angemahnten Mängel weitgehend ignoriert und übernommen. So gibt es weiterhin Überhangmandate, wodurch verschiedene Parteien unterschiedlich viele Stimmen benötigen, um einen Sitz im Parlament zu bekommen. Und auch die Gefahr eines negativen Stimmgewichts, also dass unter bestimmten Bedingungen mehr Stimmen eine Partei sogar Sitze kosten bzw. weniger Stimmen Sitze einbringen können, was dem Wählerwillen widerspricht, besteht nach wie vor.

Die Chancen, dass die Bundesregierung vom Verfassungsgericht ein weiteres Mal abgewatscht wird, sind recht hoch. Die Entscheidung muss zudem recht zügig fallen, weil die ersten Parteien vermutlich bereits im Herbst mit der Aufstellung ihrer Kandidaten beginnen werden, um ins Wahljahr 2013 zu gehen, in dem neben der Bundestagswahl auch Landtagswahlen in Niedersachsen, Hessen und Bayern anstehen.

Die einzige größere Wahl in diesem Jahr wird die Landtagswahl in Schleswig Holstein werden. Neben weiteren Verlusten im Bundesrat stellt sich vor allem die Frage, ob und wie die Führung der Bundes-FDP die Wahl überleben wird. Bei einem verpatzten Wiedereinzug in den Landtag dürften die Karrieren von Philip Rössler und seinen Boygroup-Kollegen beendet sein.
Überhaupt ist die Frage, ob die FDP das Jahr in der Regierungsverantwortung übersteht innenpolitisch die wohl spannendste Frage. Sollten die Liberalen kollabieren, wird man sich kaum die Atempause für einen ungeplanten Wahlkampf nehmen wollen und können. Eine daraufhin vermutlich folgende große Koalition würde es der SPD unmöglich machen, einen Lagerwahlkampf zu führen und zu polarisieren. Zwar dürfte die Arbeit der Regierung dadurch deutlich glatter und leider vonstatten gehen, aber ein Regierungswechsel (von dem sich viele ohnehin keinen Politikwechsel mehr erwarten), wird unwahrscheinlich.

Dann wäre da noch die Frage um die wirtschaftliche Entwicklung, die allerdings zu einem Großteil auf der nächsten Ebene entschieden werden wird.

Europa

Auch wenn eine Art weihnachtliche Ruhe eingekehrt ist, haben wir das Ende der „Euro-Krise“ natürlich noch nicht erreicht. Erst in den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob die erzwungene Sparpolitik in den Mittelmeerländen nicht sogar einen gegenteiligen Effekt verursacht, wenn die Annahmen der Staaten durch die abgewürgte Konjunktur schneller sinken, als bei den Ausgaben eingespart wird. Die Gefahr einer Abwärtsspirale ist gegeben und ob die anderen europäischen Regierungen, allen voran die deutsche, über ihren ideologischen Schatten springen können, sollten die Tatsachen sich nicht in die Dogmen einfügen wollen.

Aber auch die deutsche Wirtschaft steht und fällt mit der EU. So mancher, der sich jetzt freut, dass die „faulen Griechen“ und „verschwenderischen Italiener“ endlich an die kurze Leine genommen werden, mag sich demnächst umschauen, wenn die Bestellungen aus den Krisenländern aus- und die Auftragsbücher leer bleiben. Natürlich könnte diese Erfahrung auch eine ganz heilsame Lehrstunde für so manchen werden, der sich heute noch in der eigenen Überlegenheit sonnt.

Die entscheidende Frage dürfte aber sein, ob und in welcher Form aus dem Ergebnis des letzten Gipfels (manche halten es für das erste substanzielle Ergebnis), das Europa der zwei Geschwindigkeiten zu forcieren und die Euro-Staaten unabhängig von der EU näher aneinander zu binden, auch Taten folgen.
Von einem kompletten Scheitern (so manches potenzielle Euro-Land distanziert sich bereits) über eine Germanisierung Europas, nach der wir erstaunt feststellen werden, dass, wenn alle sparen, auch niemand unsere Exportprodukte kaufen wird, bis zu einem Weg zur längst überfälligen echten politischen und wirtschaftlichen Union ist fast alles möglich.

Die Welt

Wichtige Krisenregionen werden der nahe Osten und Nordafrika bleiben. Die in den „arabischen Frühling“ gesetzten Hoffnungen des Westens wurden in den im arabischen Herbst abgehaltenen Wahlen größtenteils nicht erfüllt. Fast überall haben sich religiöse Kräfte durchgesetzt, wenn nicht gleich das Militär die Kontrolle übernommen und bisher nicht wieder aus der Hand gegeben hat.
Die Vision von Musterdemokratien nach westlichem Vorbild die sich, zumindest als Käufer, sofort brav in den westlichen Wirtschaftskreislauf eingliedern, ist vorerst ausgeträumt. Der (in Israel vor allem aus innenpolitischen Erwägungen attraktive) Angriff auf den Iran wird wohl nur noch dadurch gebremst, dass sich weder die USA, noch ihre Verbündeten im Moment ein weiteres militärisches Abenteuer leisten können und wollen, zumal die Antwort auf die Fragen ungewiss sind, ob „wir“ mit den in den letzten Jahren entmachteten Despoten nicht besser bedient waren („Er ist zwar ein Bastard, aber er ist unser Bastard.“) und die Lebensumstände der Bevölkerung unter den alten Machthabern wirklich schlechter waren. Sollten es nach dem Abzug der Alliierten in Afghanistan und dem Irak tatsächlich zu Bürgerkriegen um die Vorherrschaft kommen, dürfte uns die Antwort nicht gefallen.

Immerhin das kleinere Übel dürfte bei der Präsidentschaftswahl in den USA im November heraus kommen. Zwar hat Obama in seiner Amtzeit nahezu nichts von seinem Programm umsetzen können, auch wenn man ihm zugute halten muss, dass er einiges zumindest versucht hat, aber die Tendenz der Republikaner, beim Versuch den rechten Rand zu befriedigen, nicht einen für die gemäßigte Mehrheit wählbaren Kandidaten ins Rennen zu schicken, dürfte ihm eine zweite Amtzeit bescheren. Gleichzeitig wird der Wähler die Demokraten aber kaum mit den erforderlichen Mehrheiten ausstatten, um wirklich regieren zu können, so dass auch die zweite Amtszeit eher eine Quälerei als ein Triumphzug werden dürfte.

All zu rosig sind die Aussichten für die kommenden zwölf Monate damit nicht. Große Lösungen für die großen Fragen sind nicht in Sicht, oft nicht mal kleine Schritte. Es bleibt zu hoffen, dass sich wenigstens einige Lichter am Ende des Tunnels nicht als der nächste Schnellzug erweisen.

Im Original veröffentlicht beim Spiegelfechter.

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