Legen SOPA und PIPA das freie Internet ad ACTA?

In Deutschland kennen wir das schon länger: Politiker – und nicht selten solche, die ihre Unkenntnis im Brustton tiefster Überzeugung heraus posaunen – wollen den „rechtsfreien Raum“ Internet an die Leine legen. Das richtet sich allerdings in der Regel gegen zu freie Meinungsäußerungen unter dem Deckmantel angeblicher Anonymität.
Was aktuell immer mehr in die Diskussion kommt, allerdings hinter den Kulissen schon seit Jahren unbeachtet ablief, ist eine ganze Reihe von Gesetzen, die unter ungewöhnlich intensiver Mitwirkung der Unterhaltungsindustrie formuliert wurden und die das Internet deutlich verändern könnten.

Worum geht es dabei?

Derzeit in Verhandlungen stehen in den USA der „Stop Online Piracy Act“ SOPA, der „Protect Intellectual Property Act“ PIPA in den USA und auch auf europäischer Ebene das „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ ACTA.

SOPA

Das Gesetzt gegen Online-Piraterie wurde im Oktober 2011 in das Repräsentantenhaus eingebracht und wird aktuell verhandelt. Nachdem es zunächst so aussah, als würde der Entwurf den Kongress schnell und ohne größere Probleme passieren, scheinen den ersten Abgeordneten nach den Protesten aus der Internetgemeinde Zweifel zu kommen.
Der Entwurf sieht vor, dass Personen und Webseiten, die fremdes urhebergeschütztes Material zum Download anbieten oder auch nur Links zu Quellen von illegalen Downloads enthalten oder abspielen, juristisch belangt werden können. Neben empfindlichen Geld- bis Gefängnisstrafen drohen Haftstrafen bis zu fünf Jahren. In verschiedenen Social Media Plattformen kuriert dazu bereits der Spruch, dass jemand, der einen Michael Jackson Song singt und ein Video davon auf Youtube lädt, potenziell höher bestraft werden könnte als der Arzt, der ihm den tödlichen Medikamentencocktail verabreicht hat.

Das Gesetz ist insbesondere eine Verschärfung bisheriger Regeln. Vor allem die Haftung von Firmen und Personen, die in irgendeiner Weise Plätze zum Austausch von Daten zur Verfügung stellen, wurde ausgeweitet. Musste etwa bis jetzt der Halter der Rechte dem Inhaber der Seite eine bestimmte Frist einräumen, um die geschützten Inhalte zu entfernen, kann jetzt bereits die Beschwerde ausreichen, um die Seite vom Netz nehmen zu lassen. Kommt der Provider der Forderung nicht nach, ist er potenziell haftbar zu machen, sollten sich die Anschuldigungen als richtig erweisen. Faktisch wird damit die Beweislast umgedreht. Nicht der Rechteinhaber muss beweisen, dass seine Rechte verletzt wurden, sondern der Beschuldigte muss belegen, dass er nichts Unrechtes getan hat.

PIPA

Der “Protect Intellectual Property Act” (oder mit vollem Namen: Preventing Real Online Threats to Economic Creativity and Theft of Intellectual Property Act of 2011) ist im Großen und Ganzen eine Wiedervorlage eines bereits im Herbst 2010 vorgelegten Entwurfs (Combating Online Infringement and Counterfeits Act – COICA) unter neuem Namen.
Auch wenn seine Inhalte in der Berichterstattung oft mit dem SOPA Entwurf in einen Topf geworfen werden, ist es eigentlich das PIPA Gesetz, dass international für Proteste sorgt.

Denn mit Hilfe dieses Gesetzes könnten Rechteinhaber in den USA Webangebote aus anderen Ländern, in denen sie illegal sind, in den USA abschotten lassen. Internetprovider würden die URL sperren (über die IP wären die Seiten allerdings weiter abrufbar), Suchmaschinen dürften diese Seite in ihren Ergebnissen nicht mehr anzeigen, US-Firmen keine Anzeigen mehr auf diesen Seiten schalten, Bezahldienste nicht mehr für sie arbeiten und sollte die Domainendung in den USA verwaltet werden, kann ihnen die Domain vollständig entzogen werden.

ACTA

Bis vor wenigen Tagen weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde seit dem G8 Gipfel in St. Petersburg 2006 das „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ vorbereitet. Für die EU war die europäische Kommission an diesem Abkommen beteiligt. Nicht eingebunden war dabei das Europäische Parlament.
Während der Europäische Rat den Entwurf bereits im Dezember 2011 durchwinkte – bizarrerweise übrigens in einer nicht öffentlichen Sitzung des „Agrar- und Fischereirates“ -, formiert sich im Parlament langsam zumindest ein gewisses Unbehagen. Statt, wie von den in der Kommission versammelten Regierungschefs erwartet, das Gesetz abzunicken, scheinen einige Parlamentarier sich tatsächlich mit den Folgen zu beschäftigen.

Die wären auch in diesem Fall gewaltig, denn auch mit dem ACTA-Abkommen würde die Verantwortung vom Nutzer zum Provider verschoben, der für Urheberrechtsverstöße seiner Kunden verantwortlich gemacht werden könnte, wenn er sich nicht verpflichtet, dessen Datenverkehr zu überwachen und Urheberrechtsverletzungen mit einer „Three-Strikes-Out“ Regelung zu bestrafen.
Außerdem würden „Anstiftung“ und „Beihilfe“ zu Urheberrechtsverletzungen strafbar, was wiederum einen Maßnahmenkatalog gegen Links, Speicher-Anbieter aber auch soziale Netzwerke nach sich ziehen würde.
Darüber hinaus müsste die unerlaubte Weitergabe von Medien als „schwere Straftat“ eingestuft werden, weil die strafrechtlichen Folgen sonst unzulässig wären. Auch das wirft ein eher zweifelhaftes Licht auf das Vorhaben, das die Relation zwischen verschiedenen Delikten deutlich verändern würde.

Music: It’s for you and it’s for me – not for the f***ing industry

Alle drei Entwürfe, wie auch viele nationale Gesetze der letzten Jahre, tragen sehr eindeutig die Handschrift der freundlichen Mitarbeit von Verbänden der Unterhaltungsindustrie wie Motion Picture Association of America (MPAA) und Recording Industry Association of America (RIAA).
Die Vereinigung der Filmschaffenden führt als Beleg (selbst in Auftrag gegebene) Studien an, laut denen ihren Mitglieder durch unerlaubte Nutzung ihrer Produkte pro Jahr mehr als 20 Milliarden US-Dollar verloren gehen. Ähnliche Berechnungen führen auch Plattenfirmen und Verlage immer wieder ins Feld.
Die Stichhaltigkeit solcher Untersuchungen sind umstritten, da es sich bei der Anzahl der illegalen Downloads und Weitergaben um Schätzungen bzw. Hochrechnungen handelt und weiter davon ausgegangen wird, dass jeder, der die Inhalte kostenlos konsumiert, sonst dafür bezahlt hätte.

Wie weit Teile der US-Regierung in der Vergangenheit bereit waren, die Interessen dieser Lobbygruppen im Ausland durchzudrücken, wurde bei der Veröffentlichung der diplomatischen Depeschen bei Wikileaks im vergangenen Jahr deutlich. Dort fanden sich gleich mehrere Dokumente, in denen Spanien gedroht wurde, sie in die Liste einer Art „Achse der Piraten“ aufzunehmen, sollte die Regierung kein strenges „Anti-Piraterie“-Gesetz erlassen.

Die Folgen

Die möglichen Folgen dieser Gesetze sind vielfältig und reichen von den großen sozialen Netzwerken bis zum kleinsten Blog. Geschäftsmodelle, wie die Seite des Videoportals Youtube stehen damit auf der Kippe, aber auch Netzwerken wie Facebook ist es nahezu unmöglich, jeden Link, jedes hoch geladene Video und sonstige Inhalte auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.
Aber auch jedes Forum und jede andere Seite, die Kommentare zulässt, wäre nach diesen Regeln noch schneller als bereits jetzt und mit drastischeren Folgen für alles haftbar, was ihre Nutzer auf der Seite schreiben und muss im Zweifelsfall drastische Maßnahmen ihres Providers rechnen, der wiederum selbst nicht regresspflichtig gemacht werden will.
Theoretisch könnte es reichen, wenn ein Spiegelfechter-Leser in seinem Kommentar ein Video verlinkt, sagen wir ein Experteninterview, bei dem im Hintergrund ein nicht lizenzierter Pop-Song läuft (ganz zu schweigen etwa von einem Download-Link), um die Maschinerie gegen den Blog in Gang zu setzen.

Zudem sind die Formulierungen aller Entwürfe so vage gehalten, dass bei strengster Auslegung schon die Berichterstattung mit Nennung einer Seite zum unerlaubten Verbreiten von Inhalten als „Beihilfe“ und „Anstiftung“ gewertet werden könnte.
Um nicht Gefahr zu laufen, sich dem Risiko einer Strafverfolgung auszusetzen, müsste jede Form von nutzergenerierten Inhalten, Kommentaren und Berichterstattung ohne entsprechenden juristischen Unterbau eine Selbstzensur vornehmen, wie sie der Westen seit dem Ende der Kommunistenverfolgung in den USA unter McCarthy nicht mehr erlebt hat.

Kritisch wird außerdem gesehen, dass mit diesen Maßnahmen eine Infrastruktur geschaffen würde, die sich ohne größeren Aufwand auch gegen andere unliebsame Inhalte wenden lässt. Zudem werden Angriffe auf Websites erleichtert. Schon der geäußerte Verdacht, die Seite würde zur unerlaubten Nutzung geistigen Eigentums verwendet, könnte eine Homepage für einige Zeit vom Netz nehmen. Bis der Inhaber seine Unschuld bewiesen hätte und die Maßnahmen rückgängig gemacht wären, könnte die Gelegenheit für eine kritische Diskussion zu einem Thema oder die Möglichkeit zur Verabredung von politischen Aktionen längst verstrichen sein. Gleichzeitig ist die Gefahr, dass Hacker die amtliche Sperrung einfach simulieren, groß.

Die andere Seite der Medaille

Nun wäre es allerdings auch zu einfach, hier nur auf die Unterhaltungsindustrie und die Administration, die sich als williger Vollstrecker anbietet, zu schimpfen. Ob die Zahlen korrekt sind oder nicht, es gibt mittlerweile eine große Bereitschaft, sich Medien (egal welcher Art) ohne Erlaubnis des Rechteinhabers anzueignen, ohne dafür zu bezahlen.
Daneben gibt es Anbieter, wie die heute abgeschaltete Speicher-Plattform „Megaupload“ des Deutschen Kim Schmitz, die den Nutzern die Möglichkeit geben, gigantische Mengen von Datenmaterial auszutauschen und es sich selbst sehr einfach machen, indem sie sich darauf zurückzieht, ja nur den Speicherplatz anzubieten.
Man sollte sich überlegen, ob es wirklich diese Personen sind, hinter denen man sich unter dem Banner des freien Internets versammeln und ihnen dieses Prädikat auf die Brust heften möchte.

Die Kulturschaffenden, zumindest die großen Verlage aller Medienarten, haben das Internet als Entwicklung viel zu lange verschlafen und der illegalen Verbreitung allein als Spielplatz überlassen. (Zu diesem Thema möchte ich auf diese Diskussion zu einem früheren Blogeintrag auf einer anderen Plattform hinweisen). Das rechtfertigt aber nicht, sich ihre Inhalte unerlaubt und ohne Gegenleistung anzueignen. Der Inhaber der Rechte kann damit immer noch machen, was er möchte.
Es ist nicht zu leugnen, dass sich eine ganze Industrie zur Umgehung der legalen Vertriebswege gebildet hat, die ihrerseits hohe Gewinne erwirtschaftet. Und man kann es den rechtmäßigen Inhabern der Inhalte kaum verdenken, dass sie darüber wenig begeistert sind und etwas dagegen tun und getan sehen wollen. Bedanken muss man sich eher bei denen, die seit Jahren jede Möglichkeit nutzen, sich das geistige Eigentum anderer ohne Bezahlung anzueignen.

Die Gefahr ist die totalitäre Ausrichtung der Gesetzesvorlagen, die das Potenzial haben, politische Gegenöffentlichkeiten (und dafür muss man nicht mal bis in den nahen Osten schauen) mundtot zu machen und die soziale Interaktion im Internet zum Erliegen zu bringen. Vielen Netzwerken und Communities bleibt unter diese Voraussetzungen nur der Selbstmord aus Angst vor dem Tod oder die strenge Beschränkung auf Inhalte, die von den großen Medienhäusern vorgegeben werden. Beides ist wenig reizvoll.

Im Original veröffentlicht beim Spiegelfechter.

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