Ungleichgewicht im Nahostkonflikt: Nur Israel kann handeln

Viel wurde in den letzten Wochen über den Gaza Konflikt und die aktuellen Militäroperationen in der Region geschrieben. Während sich die eigentliche Diskussion in den deutschen Medien in den letzten Tagen vor allem mit der Frage von der Trennung zwischen Israelkritik und Antisemitismus befasst hat, bleibt die Analyse der Situation vor Ort relativ vage und das liegt vor allem daran, dass das Kräfteungleichgewicht zwischen den Akteuren in der öffentlichen Betrachtung kaum eine Rolle spielt.

Wenn man die Diskussion, nicht nur der vergangenen Tage und Wochen, verfolgt, könnte man fast den Eindruck bekommen, dass sich in diesem Konflikt zwei annähernd gleich starke Fraktionen gegenüber stehen, die über vergleichbare Handlungsoptionen verfügen. Tatsächlich ist wenig weiter von den Fakten entfernt.
Wer etwa der Hamas den gerne geäußerten Vorwurf macht, „sich hinter Frauen und Kindern zu verstecken“, lässt in der Regel aus gutem Grund die Frage offen, welche realistische Strategie im Widerstand gegen die Besatzung sonst verfolgt werden könnten. Eine offene Feldschlacht zumindest erscheint kaum Erfolg versprechend.

US Außenminister Kerry wurde vor einigen Tagen kritisiert, dass sein Plan für einen Waffenstillstand zwar den Rückzug Israels aus dem Gazastreifen verlange, nicht aber den Verzicht der Hamas auf ihr Raketenarsenal. Fraglich, wie man darauf kommen kann, damit eine Balance herzustellen.
Das würde bedeuten, die große und bestausgerüstete Armee des nahen Ostens würde sich in die Grenzen Israels zurückziehen, von wo sie jederzeit wieder vorrücken könnte, während die Hamas sich selbst nahezu demobilisieren und handlungsunfähig machen würde.

Dabei muss man sich nichts vormachen: Die Hamas und andere Widerstandsorganisationen sind nicht die Partner, die wir uns im nahen Osten wünschen und Raketenangriffe oder Selbstmordattentate, die auf Zivilisten zielen, sind nichts weiter als Terror. Wer den Palästinensern aber den Verzicht auf jeglichen militärischen Widerstand vorgibt und sie auf diplomatische Mittel verweist, ist ebenfalls unehrlich. Friedliche Palästinenser haben den Westen und die Welt nie interessiert, diese Lektion haben die Menschen in Gaza und der Westbank auf die harte Tour gelernt.
Als sie vor rund drei Jahren im September 2011 den Antrag auf Vollmitgliedschaft in der UN stellten, kündigte die israelische Regierung sofort eine Blockade der Palästinensergebiete und einen Zahlungsstopp der der Autonomiebehörde zustehenden Mittel aus Zolleinnahmen etc. an und auch die USA drohten mit einem Einfrieren aller Hilfen, da dieser Antrag einseitig und nicht im Einvernehmen aller Parteien erfolge.

Man könnte so weit gehen zu sagen, dass es in diesem Konflikt eigentlich nur ein handelndes Subjekt gibt. Die Palästinenser sind Objekt und praktisch komplett von den Handlungen anderer Akteure abhängig. Aus eigener Kraft können sie die Situation praktisch nicht verändern, ja kaum beeinflussen.
Das Gegenteil gilt für Israel. Die israelische Regierung könnte ohne Probleme die Voraussetzungen schaffen, den Lebensstandard in den besetzten Gebieten drastisch zu erhöhen, indem sie Entwicklungshilfe aus den USA und Europa gewähren lassen würde. Und mit kaum einer anderen Strategie könnte man wohl den militanten Organisationen den Nachwuchs abgraben, denn Menschen, die eine Lebensperspektive und damit etwas zu verlieren haben, neigen deutliche weniger dazu, das Leben wegzuwerfen.
Die aktuellen Verhältnisse sind katastrophal und bringen radikalisierte und gewaltbereite Menschen hervor, die Israel attackieren. Israel reagiert mit mehr Repression und Maßnahmen, die die Lebensumstände in den Gebieten noch weiter verschlechtern oder die wenigen Ansätze, die Lebensqualität zu verbessern, zunichte machen (es ist schon erstaunlich, wie häufig sich israelische Militäraktionen gegen internationale Hilfsprojekte richten) und damit die nächste Generation von Fanatikern heran züchtet.

So einfach das klingt, so wenig hat die aktuelle Regierung in Israel ein Interesse daran. Es gibt einen entlarvenden Satz des ehemaligen israelischen Miniserpräsidenten Ehud Barak. In der Rückschau nach dem Besuch seines Nachfolgers Ariel Sharon auf dem Tempelberg im Jahr 2000, der die zweite Intifada auslöste und die damaligen Friedensbemühungen endgültig begrub, antwortete Barak in einem Interview für die TV Dokumentation „Israel und die Araber – Der ewige Traum vom Frieden“: „Natürlich hätte ich es verhindern können, aber was hätte mir das politisch gebracht?“

Der aktuelle Amtsinhaber Benjamin Netanjahu steckt in einer vergleichbaren Situation. Wenn er sich gegenüber den Palästinensern kompromissbereit zeigt würde er – abgesehen davon, dass seiner persönlichen politischen Überzeugung widerspricht – seine eigene Wählerschaft vergrätzen, ohne auf der anderen Seite im gemäßigten und linken Spektrum auf ernsthafte Zuwächse hoffen zu können. Ein ernsthafter Versuch, sich auf einen tragfähigen Frieden hin zu bewegen, käme für den Likud-Vorsitzenden einem politischen Selbstmord gleich.

Ernsthaft Einfluss nehmen können so aktuell nur zwei Gruppe. Da sind zum einen die Wähler in Israel, die allerdings planmäßig erst 2017 wieder an die Urnen gerufen werden. Zudem zeigt sich vermehrt, dass die Spuren des jahrzehntelangen Konflikts innerhalb der israelischen Bevölkerung zu einer zunehmend verhärteten Haltung in der Palästinenserfrage führen.
Daneben bleiben noch die westlichen Verbündeten Israels, die der Regierung Netanjahu klar zeigen müssten, dass es keine bedingungslose Unterstützung geben kann und weitere Hilfe an ein Fortschreiten bzw. die Wiederaufnahme eines Friedensprozesses gebunden ist.

Der erste Schritt muss dabei das Schaffen von menschenwürdigen Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten sein, um überhaupt eine Grundlage für einen Dialog ohne bzw. wenigstens mit weniger Hass auf den Gegenüber führen zu können. Wenn dieses Ziel erreicht ist, kann man sich über die Frage der Gedanken machen, welches Staatskonstrukt eine Chance zu einem dauerhaften Frieden schaffen könnte.

Im Original veröffentlicht beim Spiegelfechter.

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