Wo steht Schwarz-Gelb?

Nachdem ich mich letzte Woche mit dem Zustand der beiden im Fall von Neuwahlen aussichtsreichsten Oppositionsparteien beschäftigt habe, möchte ich mich heute der schwarz-gelben Bundesregierung zu wenden – so lange es sie noch gibt, möchte man fast sagen.
Keine Bundesregierung der Nachkriegsgeschichte hat bisher eine so desaströse erste Halbzeit aufs Parkett gelegt wie die aktuelle. Kaum eine Regierung hat so ohne jede Eigeninitiative und nur von den Ereignissen und Meinungen getrieben mehr reagiert als regiert. Der Versuch einer Betrachtung mit möglichst wenig Polemik…

Die Liberalen im Sinkflug

Wenden wir uns als erstes der FDP zu. Zynische Zeitgenossen mögen das für Jagd im Gehege halten, empathischere Mitmenschen anmerken, dass man auf am Boden Liegende nicht noch eintreten soll. Aber das war nicht immer so. Es ist kaum mehr alszwei Jahre her, dass die FDP ihr bisheriges Rekordergebnis im Bund feiern konnte. 14,6% der Stimmen entfielen auf die Liberalen.

Geschafft hatte es die Partei vor allem mit einem Thema: Steuersenkungen. Dass die FDP mit dieser eingleisigen Themensetzung durchkommen konnte, ist nicht zuletzt den Medien anzulasten. Obwohl jeder, der sich auch nur oberflächlich mit den Staatsfinanzen beschäftigt hatte, vorhersagen konnte, dass generell, ganz sicher aber in der auslaufenden Bankenkrise, kein Spielraum für nennenswerte Entlastungen vorhanden war. Trotzdem wurden die Forderungen in der Berichterstattung als seriöses Thema behandelt.

Umso größer war nach den Wahlen die (gespielte?) Überraschung, als doch keine Wohltaten an die breite Masse verteilt wurden. Zu offensichtliches Bedienen des eigenen Klientels (Stichwort Hotel), zu dreiste Selbstbedienung bei der Postenvergabe (Stichwort Dirk Niebel) und eher überschaubare Leistungen im Amt (Stichwort Westerwelle) taten ihr übriges, um die Liberalen in der Gunst der Wähler sinken zu lassen.

Auch zahlreiche Personalrochaden konnten bisher wenig daran ändern, dass die FDP nach dem aktuellen Stand froh sein muss, überhaupt noch im Bundestag vertreten zu sein. Trotz aller Beteuerungen und den Versuchen der neuen Parteiführung, auf Regionalkonferenzen wenigstens die eigene Basis zu beruhigen, von einer inhaltlichen Erneuerung ist nichts zu sehen.
Und das kann nicht mal verwundern. Die Partei hat sich nach dem Ende der sozial-liberalen Koalition 1982 und nochmals verstärkt in den 90er Jahren stromlinienförmig auf den Wirtschaftsliberalismus ausgerichtet. Besonders die jüngeren Mitgliederjahrgänge, die jetzt auch in der Parteiführung so präsent sind, wie in keiner anderen Partei (außer vielleicht den Piraten), hat nie eine andere Marschrichtung kennen gelernt. Die Partei hat schlicht kein Personal, das andere Akzente setzen könnte.

Aktuell steht die FDP am Scheideweg. Ihr Kernthema, mehr noch, ihre Kernphilosophie ist gerade dabei, außer Mode zu kommen und sich selbst zu überleben. Ihr bleiben zwei Möglichkeiten: sie kann versuchen, sich wieder verstärkt als Bürgerrechtspartei etablieren, oder sich als rechtpopulistische Partei neu zu erfinden. Für beide Wege gibt es Anzeichen. Die Reaktion auf der Behörden-Trojaner und die Anti-Euro-Fraktion deuten sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung.

Viel versprechend ist keiner der Ansätze. Die Wahrung der Bürgerrechte vertreten andere Parteien schon lange besser und glaubwürdiger als die FDP. Es ist unwahrscheinlich, dass sie damit in größerem Maß Wähler zurückgewinnen könnte. Größere Chancen könnte in der populistischen Gangart liegen. Schon lange sehen Meinungsforscher ein zweistelliges Potenzial für eine Partei weit rechts von der Mitte, wenn sie nur nicht das Schmuddelimage des Neo-Nazitums mit sich bringen würde. Gleichzeitig ist aber fraglich, ob sich die echten Rechtsaußen von einer Partei angesprochen fühlen könnten, die von einem Homosexuellen geführt wurde, der von einem Asiaten abgelöst wurde. Auch weist wenig darauf hin, dass sich aus Euro-Gegner, Islamophoben, Anti-Gender-und-Gleichberechtigungs-Unbewegten und Co bei allen vorhandenen Überschneidungen wirklich eine Bewegung formen ließe. Denn so sehr sich das Bild der deutschen Tea Party hier aufdrängt, es fehlt doch ein wichtiges verbindendes Element: die Religion.

Und so bleibt am Ende die Erkenntnis, dass der FDP eine lange Auszeit von der ersten politischen Liga mit einem anstrengenden und schmerzhaften Selbstfindungsprozess kaum erspart bleiben wird, wenn sie nicht sogar tatsächlich in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Doch wer weiß? Totgesagte leben länger und den Grünen wurde noch vor wenigen Monaten vorhergesagt, sich endgültig überlebt zu haben.

Die Union ohne Partner?

Auf der anderen Seite steht die Union wenigstens auf den ersten Blick besser da. Wie schon in der großen Koalition konnte sie, allen voran Angela Merkel, den Unmut der Wähler weitgehend an sich abtropfen lassen und auf den Koalitionspartner umleiten. Die Perspektive hat nur zwei Schönheitsfehler. Zum einen dürfte die Union mit ihren 32 bis 35%, die sie in den Umfragen (er)hält, auf den Kern ihrer Stammwählerschaft zusammengeschrumpft sein, zum anderen fehlt ihr durch den Einbruch der FDP ein Partner zum Regieren.

Bereits nach der letzten Bundestagswahl war vielen Beobachtern klar, dass, auch wenn es niemand in der Union laut aussprechen wollte, Angela Merkel und viele ihrer weniger ideologisch geprägten Mitstreiter die angenehm unkomplizierte große Koalition gerne fortgesetzt hätten. Nicht nur waren die Beamten-Seelen der von der Schröder-Ära geschwächten SPD pflegeleichter als die Liberalen, die vor Kraft kaum laufen konnten; vor allem war der Unionsführung klar, dass sie jetzt in der als Wunschkoalition verkauften schwarz-gelben Regierung an der Erfüllung all der Ankündigungen gemessen werden würde, die mit der SPD ohnehin nicht zu verwirklichen waren. Es war bequem gewesen, in dem Wissen einschneidende Maßnahmen zu fordern, dass man nicht gezwungen sein würde, sie umzusetzen.

Hinter den Kulissen steht die Union inhaltlich dagegen kaum weniger nackt vor dem Volk, als ihr Koalitionspartner. Auf der Suche nach der „Neuen Mitte“ hat sich die Union in vielen Aspekten weit von ihren ursprünglichen Jagdgründen entfernt. Die Wirtschaftspolitik, in der immer noch Ludwig Erhard als Schild vor sich her getragen wird, während man wie die SPD in den 90ern in der neo-liberalen Falle sitzt, das Frauenbild oder zuletzt die Umweltpolitik mit dem Hin und Her bei der Atomfrage sind nur einige Beispiele der schwarzen Unstetigkeit.

Mit ihren Versuchen, für jeden etwas zu bieten und alle zufrieden zu stellen, erreicht die Merkel-CDU schon lange niemanden mehr richtig. Als weiteres Hindernis erweist sich intern immer mehr die CSU, die in Bayern erstmal seit Jahrzehnten der Gefahr ins Auge sehen muss, die Macht zu verlieren und panisch auf nahezu jeden Zug aufspringt, der den Verdacht erweckt, Volkes Stimme darzustellen. Dabei ist kaum noch vorherzusehen, wo die Bayern als nächstes quer schießen werden. Natürlich nicht etwa intern, sondern über die Medien, versteht sich.

Dringendste Aufgabe der Union wäre aktuell das Knüpfen neuer Verbindungen zu SPD und/oder Grünen. Die Hoffnung, die Koalition mit der FDP nach der kommenden Bundestagswahl, wobei ein Termin Anfang 2012 im Moment genau so wahrscheinlich ist, wie Herbst 2013, fortzusetzen, ist utopisch. Wenn die Union regieren will, führt kein Weg an einem neuen Partner vorbei.
Derzeit drückt sich Merkel samt ihrer Partei allerdings um jede inhaltliche Debatte, egal zu welchem Thema. Ein kurzer Blick auf die zahllosen „letzten Zahlungen“ an Griechenland und das Umfallen jeweils nur Tage später allein reicht, um zu zeigen, dass die Union im Moment weder in der Lage ist, die sprichwörtliche Linie im Sand zu ziehen, noch dem Wähler die Wahrheit zu sagen.

Zeitgleich ist sowohl bei SPD und Grünen, bei aller eigenen Konzeptlosigkeit, nicht anzunehmen, dass sie sich die Rolle als Steigbügelhalter nicht mit weitgehenden inhaltlichen Zugeständnissen teuer bezahlen lassen würden. Fraglich ist, ob Merkel damit bei ihren verbliebenen Stammwählern oder auch nur bei der Basis durchkommen könnte. Als Fazit könnte am Ende stehen, dass die Union nach der kommenden Wahl beweist, was böse Zungen schon heute sagen: dass CDU und CSU derzeit nicht regierungsfähig sind. Oder einfach unfähig zu regieren.

Im Original veröffentlicht beim Spiegelfechter.

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